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«Wie ein Kind, das Fahrradfahren lernt»

15.06.2021

Sandro Antonello ist für die Organisationsentwicklung bei IdéeSport zuständig und hat den Transformationsprozess hin zur Agilität initiiert. Im Interview erzählt er, wie IdéeSport die Idee der agilen Arbeitsweise im 2019 fasste, welche ersten agilen Erfolge seither verbucht werden konnten und wie die Mitarbeitenden Schritt für Schritt lernen, agil zu arbeiten.

Im Mai 2019 hast du bei IdéeSport den Transformationsprozess hin zur Agilität initiiert. Welcher Gedanke stand dahinter?

Ursprünglich stand die Idee im Raum, dass wir das Stellenprofil der Projektmanager*innen aufwerten wollten. IdéeSport hatte zu dieser Zeit eine hohe Fluktuationsrate und auch bei anderen Teams ausserhalb des Projektmanagements herrschte teils Unzufriedenheit über Aufgaben. Wir starteten den Transformationsprozess mit dem Ziel, diesen Umstand zu korrigieren.

Offensichtliche Themen, wie die zunehmende Digitalisierung oder die VUCA-Welt*, waren bei uns nicht die Haupttreiber, auch wenn diesen Rahmenbedingungen nun mit der Agilität besser Rechnung getragen werden kann. Unser Schritt zur Agilität kam aus dem Gedanken heraus, dass es eine gesellschaftliche Veränderung gibt und die Menschen anders arbeiten möchten als früher. Das spürte ich bei IdéeSport stark.

*Anmerkung Redaktion: VUCA steht für Volatilität, Ungewissheit, Komplexität und Mehrdeutigkeit und beschreibt das Umfeld, in dem sich Organisationen zunehmend bewegen.

Was waren für dich als Organisationsentwickler die wichtigsten Meilensteine im Prozess?

Der erste Meilenstein war der gemeinsame Entscheid der Mitarbeitenden hin zur Agilität. Und dass dieser vom Stiftungsrat und der damaligen Geschäftsleitung getragen worden ist. Vor allem für letztere bedeutete die Transformation hin zur Agilität einen starken Wandel. Hätten sich dort ein paar Mitglieder gewehrt, dann wäre es schwierig geworden.

Als zweiter Meilenstein erachte ich die gemeinsame Beantwortung der Sinnfrage. Wir haben viel Zeit darin investiert, zu diskutieren und zu definieren, warum wir die Transformation zur Agilität hin machen. Die Mitarbeitenden hatten so Zeit, um für sich herauszufinden, wieso sie agil arbeiten möchten.

Der dritte wichtige Meilenstein war dann die Gründung des Agilität-Projektteams und die Definition der Rahmenbedingungen. Danach konnten wir Schritt für Schritt die Instrumente einsetzen, um agil zu werden. Wir haben die Rollen definiert innerhalb der Stiftung, stellten um vom hierarchischen Modell hin zum eigenen neu entwickelten Kreismodell und haben die Prozesse innerhalb IdéeSport so gestaltet, dass sie iterativ sind.

Die Agilitätsgruppe hat viel Arbeit investiert, bis alle Mitarbeitenden das gleiche Verständnis von Agilität hatten. Wie würdest du einer externen Person mit wenigen Worten unsere agile Arbeitsstruktur erklären?

Agile Arbeitsstruktur ist ganz kurz gesagt die Aufteilung der Führungsaufgaben in einem transparenten und von Vertrauen geprägten Umfeld. Man setzt die Eigenverantwortung wieder mehr in den Fokus und stellt somit auch den Menschen ins Zentrum. Agil bedeutet, dass keine geführten Strukturen und gleichbleibende Entscheidungsträger*innen bestehen und iterative Arbeitsprozesse dominieren.

Welche ersten Erfolge von IdéeSport führst du auf die agile Arbeitsweise zurück?

Der erste grosse Erfolg der agilen Arbeitsweise war für mich, wie wir die Corona-Situation gemeistert haben. Daraus sind später Projekte wie MoveYourSummer oder unsere Programmalternativen entstanden, aber das meine ich nicht explizit. Vielmehr schafften wir es, innerhalb von wenigen Tagen eine digitale Lösung für unsere Zusammenarbeit zu finden. Die Teams haben ihre Zusammenarbeit selbständig und eigenverantwortlich organisiert. Es brauchte keinen Koordinationsaufwand von zentraler Stelle, wie dies bei klassischen Organisationen der Fall war. Unsere Stiftung war somit trotz der aussergewöhnlichen Situation schnell wieder im Sattel und konnte Ideen für die Aufrechterhaltung des Betriebs entwickeln. Das finde ich beachtlich: In einem Krisenjahr haben wir Organisationsentwicklung betrieben. Wir konnten uns nebst dem operativen Geschäft selbst weiterentwickeln, das ist nicht selbstverständlich.

Gibt es weitere agile Best-Case-Beispiele von IdéeSport?

Dank der agilen Arbeitsweise ist die Innovation bei IdéeSport wieder mehr in den Vordergrund gerückt. Wir konnten einen Innovationsprozess entwickeln, der die Mitarbeitenden motiviert, eigene Ideen einzubringen und dies im engen Austausch mit unserer Zielgruppe tun. Auch die Wahl des Geschäftsführers war für mich eindrücklich: Mitarbeitende konnten sich für den Rekrutierungsprozess melden und wählten als Gremium den aktuellen Geschäftsführer. Weiter ist die Transformation selbst ein Best-Case-Beispiel. Wir starteten von Beginn weg mit agilen Methoden und haben viel ausprobiert und hinterfragt. In der Agilitäts-Arbeitsgruppe war übrigens kein Geschäftsleitungsmitglied vertreten, dies war in Hinblick auf die agile Arbeitsweise bewusst so gewählt.

Welche neuen Instrumente und Formate sind mit der agilen Arbeitsweise dazugekommen?

Die Rahmenbedingungen haben sich von Grund auf verändert, was eine Vielzahl von neuen Instrumenten und Arbeitsformaten mit sich brachte. Unter anderem haben wir in einer Delegationsmatrix die wichtigsten Verantwortlichkeiten und Prozesse definiert, um den Mitarbeitenden Struktur und Halt zu geben. Die klassischen Führungsaufgaben haben wir auf verschiedene Rollen aufgeteilt und den Mitarbeitenden Instrumente zur Hand gegeben, um im Team Entscheidungen zu fällen. Wir sind weg vom hierarchischen Modell hin zum Kreismodell, wo jeder Kreis seinen Sinn und Zweck und seine Hauptaufgaben definiert hat. Es sind neue Austauschgefässe entstanden, wie Praxisgruppen, bei welchen sich Mitarbeitende über die Teams hinweg zu gleichen Themen austauschen.

Auch im Bereich der Unternehmenskultur sind viele neue Instrumente entstanden. Das klassische Mitarbeitendengespräch gibt es logischerweise nicht mehr, wir geben uns im Mitarbeitendendialog Feedback im Team. Dafür schafften wir die entsprechenden Instrumente.

Gab es wegen der Agilität Situationen, die schwierig waren?

Ja, die gab es immer wieder. Solch ein Prozess verläuft nicht reibungslos, das wäre illusorisches Denken. Momentan ist es für die Mitarbeitenden noch am schwierigsten, den Mut aufzubringen, um selbst zu entscheiden. Dass sie ihr Handeln nicht von anderen Instanzen abhängig machen.

Würdest du sagen, dass wir die agile Arbeitsweise bereits beherrschen? Wo können wir uns noch verbessern?

Wir befinden uns momentan in der Situation, dass die Agilität schon weit fortgeschritten ist und sich die Ereignisse etwas überstürzen. Wir sind bereit, aber eben noch nicht ganz. Ich vergleiche uns mit einem Kind, das das Fahrradfahren lernt. Wir wissen wie es geht und machen es im Grossen und Ganzen schon sehr gut, aber wir sind noch etwas wackelig unterwegs. Motiviert stürzen wir uns in die Arbeit, wollen «schnell fahren», und lassen die Koordination noch etwas stark ausser Acht. Wir sind also noch etwas wild unterwegs und müssen unsere Ausrichtung und Fokussierung im agilen Format stärken.

Der Change Prozess ist inzwischen fortgeschritten. Wie sieht dein Arbeitsalltag bei IdéeSport inzwischen aus?

Ich bin momentan stark als Coach der einzelnen Teams eingebunden, vermittle ihnen Wissen und Sicherheit im agilen Arbeiten und begleite sie. Momentan geht es darum, die letzten Projekte im Transformationsprozess abzuschliessen und von der Projekt- in die Betriebsphase überzugehen, um zu einer lernenden Organisation zu werden.

Denkst du, jede Organisation kann agil strukturiert sein? Oder was sind die entscheidenden Erfolgsfaktoren für diese Arbeitsweise?

Ich glaube daran, dass es rein strukturell betrachtet, überall möglich ist, agil zu arbeiten. Ob die Agilität gelingt, hängt stark von der Motivation und der Einstellung der Menschen ab. Sie sind der entscheidende Faktor dafür, ob die Transformation gelingt.

Und dann gibt es natürlich Branchen, die einfacher agil werden können, da weniger fixe Rahmenbedingungen vorhanden sind. Beispielsweise sind in der Industrie gewisse Produktionsprozesse maschinell vorgegeben. Aber auch hier kann im Kleinen agil gearbeitet werden, z.B. mit selbstorganisierten Teams.

Sandro Antonello ist bei IdéeSport für die Organisationsentwicklung zuständig.

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